„Meine Welt von gestern“
Ich darf hier meine Memoiren vorstellen, die jetzt im Buchhandel erhältlich sind:
Interview zum Buch:
Interview mit Gottfried Ebenhöh, dem Autor von „Meine Welt von gestern“ – Ein Gespräch über Erinnerungen, Verantwortung und das Vergehen der Zeit.
Frage:
Ihr Buch trägt den Titel „Meine Welt von gestern“. Das erinnert stark an Stefan Zweigs berühmte Autobiografie. War das Absicht?
Antwort:
Ja, das war es. Ich habe Zweigs „Die Welt von Gestern“ mit großem Respekt gelesen. Seine Erinnerungen sind nicht nur persönlich, sondern auch ein großes Zeitdokument. Viele Gedanken, die er formulierte, lassen sich auf meine eigene Generation übertragen. Vor allem sein Versuch, die Stimmung seiner Zeit zu beschreiben: dieser Optimismus, das Vertrauen in Technik, Fortschritt und Frieden – bis zur Jahrhundertkatastrophe von 1914 – hat mich tief bewegt. Auch wir, die „Boomer“, durften lange Zeit in einem Zustand leben, der von Fortschritt und wachsendem Wohlstand geprägt war. Bis eine neue „Zeitenwende“ ausgerufen wurde.
Frage:
Sie beziehen sich mehrfach direkt auf Zitate von Zweig. Warum?
Antwort:
Weil seine Formulierungen eine Tiefe und Genauigkeit haben, die bis heute gültig sind. Wenn er von „wunderbarer Unbesorgtheit“ oder vom „Elan“ der Jahrhundertwende spricht, finde ich mich darin wieder – in einer späteren Zeit, aber mit ähnlichen Hoffnungen. Und doch war bei uns schon früh die Mahnung gegenwärtig, dass technischer Fortschritt auch zur Bedrohung werden kann – Stichwort „Atom“ – Atomwaffen. Ein Bruch, den meine Generation immer mitdenken musste.
Frage:
Sie schreiben nicht nur über Geschichte, sondern auch über Ihr eigenes Leben. Was hat Sie dazu bewogen, Ihre Erinnerungen aufzuschreiben?
Antwort:
Ich glaube, dass wir eine Verantwortung haben, unsere Zeit zu bezeugen. Wie Irene Vallejo – über Herodot – schreibt: Erinnerungen sind brüchig. Sie sind nicht objektiv, aber sie erzählen dennoch Wahrheiten – unsere persönlichen. Und wie Jean Paul sagte: „Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“ Ich wollte dieses Paradies festhalten – mit allen Brüchen, Zweifeln, aber besonders mit Dankbarkeit.
Frage:
Welche Zeit hat Sie besonders geprägt?
Antwort:
Am stärksten sicher die 1950er- und 60er-Jahre. Ich wurde in eine Zeit hineingeboren, in der Deutschland noch in Trümmern lag – die Städte, die Gesellschaft, die Familien. Und doch war es auch eine Zeit des Neuanfangs, des Aufbaus. Die Generation meiner Eltern und Großeltern hat Erstaunliches geleistet. Ich durfte in einem Umfeld heranwachsen, das Sicherheit, Werte und Zugehörigkeit bot – trotz aller äußeren Widrigkeiten.
Frage:
Die Familie spielt in Ihrem Buch eine wichtige Rolle.
Antwort:
Sehr sogar. Meine Verwurzelung in der Familie und in der neuen Heimat nach deren Vertreibung, war für mich prägend. Johannes Paul II. schrieb, dass der Mensch seine Existenz der Familie verdankt – das empfinde ich genauso. Ich habe später selbst mit meiner wunderbaren Frau drei Töchter großgezogen. Diese Erfahrung, eine Familie zu gründen und zu begleiten, gehört zu den größten Glücksmomenten meines Lebens – und auch zu den herausforderndsten. Denn wir mussten und müssen unsere Kinder auf eine Welt vorbereiten, die wir selbst nur begrenzt beeinflussen können.
Frage:
Sie äußern sich auch kritisch zur Gegenwart. Was bereitet Ihnen Sorgen?
Antwort:
Mehreres. Ich sehe eine Erosion unserer demokratischen Kultur, eine zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft, die Verachtung Andersdenkender – verbal wie strukturell. Es gibt einen Hang zu Vereinfachung, wie zu überbordender Moral, zu aggressiver Rhetorik, was mir Unbehagen bereitet. Manche Entwicklung erinnert mich schon an unselige Zeiten in unserer Geschichte.
Auch mein Beruf, die Medizin, das Arztsein, hat sich stark verändert – nicht immer zum Besseren. Menschlichkeit und Verantwortung drohen in falsch verstandener Ökonomie, in Bürokratie und Technokratie unterzugehen.
Frage:
Ihr Buch ist nicht nur Rückblick, sondern auch ein Versuch, Zusammenhänge aufzuzeigen. Wie verstehen Sie Ihre Rolle als Erzähler?
Antwort:
Ich sehe mich als Erzähler, aber bestimmt nicht so wie der brillante Stefan Zweig – das wäre vermessen. Mein Zugang ist auch eher der einer Chronik: Beobachtungen, Erinnerungen, Anekdoten, kleine Geschichten, die sich zu einem Bild fügen sollen. Ich will zeigen, wie es war – aus meiner Sicht. Ernstes und Heiteres, manchmal auch Komisches oder Absurdes. Besonders die Geschichten aus meiner Jugendzeit in Pegnitz oder aus dem „Gasthof Goldener Stern“ sollen dieses Bild menschlicher machen.
Frage:
Sie sind Arzt. Wie sehr prägt Sie dieser Beruf in Ihrer Rückschau?
Antwort:
Sehr. In meinem Berufsleben habe ich viel gesehen und erlebt – auch Dinge, die sich heute kaum jemand mehr vorstellen mag. Ich halte es für wichtig, auch diese Erfahrungen festzuhalten. Sie gehören nicht nur zu meiner Welt und sollen nicht vergessen werden – auch wenn sie vielleicht verstören oder irritieren mögen.
Frage:
Und zum Schluss: Ist Ihre Generation – wie Zweig es ausdrückte – in die „dümmste Epoche der Zeitgeschichte“ geraten?
Antwort:
Nein. Im Gegenteil. Wir haben eine unvergleichlich dynamische Zeit erlebt – voller Herausforderungen, aber auch voller Möglichkeiten. Unsere Zeit war vielleicht nicht immer „golden“, aber sie war intensiv, prägend, bewegend. Ich bin dankbar, ein Teil davon gewesen zu sein – mit allen Licht- und Schattenseiten.
Vielen Dank für das Gespräch.